UND DANN IST MORGEN
Das Fotoprojekt „Und dann ist Morgen“ startete im März 2016 - initiiert vom Fotografen Christian Marquardt und dem Anthropologen Ian Marius Ibiß Das Ziel des Projekts ist es Träume und Hoffnungen von Menschen aus Syrien, die gerade noch Krieg und Flucht erlebten, und nun ihre Zukunftshoffnungen in der neuen Heimat beginnen, den „Alteingesessen“ zugänglich zu machen.
Die Vorstellungen und Zukunftswünsche von Teilnehmenden einer Deutsch-Integrationsklasse aus Potsdam werden in Bild und Wort den Betrachtenden zugänglich gemacht. Mit der Frage nach den Zukunftswünschen von heute fördern wir den gemeinschaftlichen Dialog über die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Fluchterfahrung am gesellschaftlichen Leben in Deutschland. 'Shadi' ist einer von insgesamt 7 Beiträgen. Auf Anfrage senden wir gerne weiteres Material zu.
Shadi
Wir sitzen einen jungen Mann gegenüber der uns mit einem sympathischen zähnezeigenden Lächeln seine Hand zur Begrüßung entgegenstreckt „Hallo, mein Name ist Shadi und ich würde gerne bei eurem Projekt mitmachen“ (weil ich nur im Heim rumsitze). An der Hand, die wir schütteln, hängt ein schmales Armband in Deutschland-Farben. Schwarz-Rot-Gold. „Ein Geschenk von einem Syrischen-Freund, der aus München zu Besuch war“.
Shadi lebte in Rif Dimaschq, einem Gouvernement im Südwesten Syriens in der Umgebung von Damaskus – wörtlich übersetzt - zusammen mit seinen zwei Geschwistern und seinen Eltern, als ältestes von
drei Kindern im Elternhaus. Er hat einen Traum. Er will in Damaskus ein Ingenieursstudium anfangen. Zu Beginn klappt alles, doch dann geht das Geld aus und er entscheidet sein Studium zu
unterbrechen, um nach Ägypten zum Geldverdienen zu ziehen. Ein Jahr vergeht, er kehrt zurück und findet ein Land vor, dass vom Krieg noch zerrütteter ist als bei seiner Abreise.
Sein Traum vom Weiterstudieren zerplatzt und die Hoffnung auf ein erfülltes Leben zerrinnt. Das trifft Shadi sehr, er ist down, fühle sich als Versager und als Verlierer. Er fasst den Entschluss
seine Familie und Land zu verlassen und in den Libanon zu reisen, nach Beirut, um von dort weiter in die Türkei nach Izmir zu fliegen, in der Hoffnung seinem Ziel eines besseren Lebens und Schutz
in Deutschland zu finden näher zu kommen.
Dafür lernt Shadi jetzt Deutsch. Um ein paar weitere Fotos zu machen, besuchen wir die Deutsch-Integrationskurse noch einmal. Wir kommen in dem Moment in den Raum als eine Frauenstimme mit
osteuropäischem Akzent sehr nachdrücklich fragt „Was ist deine Staatsangehörigkeit?“. Christian und ich werfen uns fragende Blicke zu, denn der Ton klingt überraschend strenger als in der anderen
Klasse. Nach zögerlichen Antwortversuchen, erklären alle im Raum, dass sie das Wort nicht kennen. Die ältere Lehrerin mit kurzen blonden Haaren geht durch die Klasse und wiederholt, die Bitten um
Hilfe ignorierend, immer strenger „Was bedeutet Staatsangehörigkeit? Schaut im Wörterbuch nach, wenn ihr ein Wort nicht kennt.“. Sie bleibt bei einem der Männer, die vor Shadi sitzen, stehen und
fragt ihn „Wie lange lebst du schon hier?“. Ich verstehe nur schlecht, was er sagt. Ich glaube zu hören, als er leicht verschüchtert und verwirrt murmelt „Hier? Ich lebe hier seit 2 Jahren.“ Da
ruft sie empört aus „Seit 2 Jahren schon! Und dann kannst du immer noch kein Deutsch?“. Der Mann weiß nicht, was er darauf sagen soll. Als sie merkt, dass wir etwas entrüstet über ihre
Bloßstellung reagieren, betont sie, dass sie damals keine Ausreden gehabt hätte und dass sie es damals nach ihrer Ankunft in Deutschland schon nach 6 Monaten sprechen konnte.
Einige der Männer im Raum scheinen bedrückt. Sie schweigen. Andere reagieren mit einem Lächeln. Besonders als ich versuche zu erklären, dass die Flucht vor Krieg und das Erlernen einer neuen
Sprache unter diesen Umständen für alle unterschiedlich schwierig sei. Doch um keine Blöße zu zeigen, bringt die Konversation ab. Letztendlich war ihre Strenge gut gemeint. In ihren Augen war
alles abhängig vom eigenen Willen. Die Sorge um die eigene Familie zurückgeblieben im Land, wo Krieg herrscht, oder mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus zu leben, oder aber auch die andere
Lebensrealität für geflüchtete Menschen in Deutschland, die nicht weiß oder christlich sind, wollte ich an dieser Stelle nicht ansprechen.
Shadi's Erlebnisse zeigen wie so eine Reise aussehen kann.
Denn viele Flüchtende überqueren auf ihrer Flucht das Mittelmeer und wählen die Türkei als Startpunkt für die Überfahrt nach Griechenland (die sog. Mittelmeerroute). Auf überladenen
Schlauchbooten fahren sie Ihrem Schicksal überlassen eine Etappe weiter ihrem Ziel Europa entgegen. Junge, Alte, kleine Kinder und Säuglinge. Sie sitzen dann, meist Seite an Seite und in mehrere
Reihen hintereinander sortiert, eine Tasche oder ein Rucksack unter den Beinen verstaut, gedrängt, und starrend auf das offene Meer.
Am Heck ist ein Motor angebracht mit dem gesteuert wird. Jeder freie Platz auf dem Boot wird teuer bezahlt. Fehlt das notwendige Geld, gibt es keinen Platz. Eine Ausnahme, ein Tauschgeschäft
ermöglicht jedoch die Mitnahme - auch ohne das notwendige Geld. Der*diejenige der*die sich bereit erklärt das Boot zu steuern fährt gratis mit. Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Viel zu
oft kentern Boote auf ihrer Fahrt, wetterbedingt oder oft auch deshalb weil immer mehr Menschen auf ein Boot gedrängt werden. Mehr als es transportieren kann.
Als Shadi in Izmir ankommt ist sein Geld fast aufgebraucht. Die Hoffnung auf ein besseres Leben und der Wunsch seiner Familie zu helfen sind jedoch ungebrochen groß. Am zweiten Tag findet er eine
Gruppe die auf eine Überfahrt wartet. Er ist entschlossen, nimmt die Verantwortung auf sich und ist bereit für das Tauschgeschäft, das ihm angeboten wird. Auf das Schlauchboot, das er über das
offene Meer steuert, passen 35 Menschen.
Ian und ich staunen beide über diesen so jungen Mann. Wir fragen uns wie alt er doch gleich war. So früh schon so eine Entscheidung zu treffen. Da fragte ich mich wie viel Verantwortung bin ich
(eigentlich) zu übernehmen bereit – für mich, oder für andere - um ein sicheres Leben zu leben? Ich habe eine Tochter. Seit ihrer Geburt, dem Moment als ich sie das erste Mal sah und an mich
nahm, entstand ein unglaublich starkes, verbindendes Gefühl zu ihr. Sie ist noch sehr klein und ist auf die Hilfe von mir und meiner Frau angewiesen. Die Verantwortung für ihr Leben liegt in
unseren Händen. Es ist eine große Verantwortung, die ich zu übernehmen bereit bin.
Wir halten einen Moment im Interview inne, Shadi zeigt uns auf seinem Handy einen kurzes Video, das er auf der Ankunftsinsel in Griechenland aufgenommen hat. Es wirkt wie ein Sonntagsausflug:
Herrliches blaues Wasser und ein sonniger Tag ohne Wolken am Himmel. Eine Gruppe von Menschen steht am Pier. “Da, hier kommt die griechische Polizei mit dem Boot uns zu holen“. Sein sympathisches
Lächeln verleiht ihm einen jungenhaften Ausdruck. Auch jetzt als er seine Erlebnisse berichtet hält es an. In Bulgarien wurden die Grenzen geschlossen, so ging es für ihn und mittlerweile
Befreundete weiter nach Mazedonien, durch Serbien über Kroatien nach Slowenien. Hier wurden sie bei Regen und Kälte für zwei Tage an der Grenze festgehalten. „Die Polizei in Slowenien ist nicht
gut. Sie hat uns geschlagen und mit Tränengas beworfen“. Ohne Unterkunft, im Freien und durchnässt erlebte er hier einen tragischen Moment, der ihn im Erzählen pausieren lässt. „Zwei Babys sind
während der Wartezeit hier gestorben. Das war schlimm“.
Als Shadi schließlich in Passau von der Grenzpolizei festgehalten wird, hat er nach zweiwöchiger Reisezeit acht Länder durchquert und sein Ziel Deutschland im November 2015 erreicht. Er wird nach
Hamburg und von dort weiter zu seiner Aufnahmestadt Berlin, dann nach Potsdam gebracht, in der er seither wohnt.
Ein großer Wunsch von ihm ist es, hier in Deutschland zu studieren. Ein anderer, seine zurückgebliebene Familie aus Damaskus nachzuholen. Bis es soweit ist, versucht er Geld zu sparen und zurück
an seine Familie zu schicken. Doch erst einmal ist er sehr glücklich darüber, endlich eine eigene Wohnung bekommen zu haben. Die Zeit in der Sammelunterkunft im Wohnheim hat er hinter sich
gebracht. Am Ende schlagen wir ihm vor mit seinem Handy Fotos aus zu machen, Fotos die er mit seiner Zukunft hier in Deutschland verbindet. Er ist einverstanden und lächelt uns zuversichtlich an.
Genauso wie er uns anlächelt als der Deutsch-Integrationsunterricht vorbei ist und wir noch etwas mit ihm reden können. Genauso wie er auf den Fotos lächelt, die wir nach dem Unterricht von ihm
machen.
Fluchtroute: Türkei, Griechenland, Slowenien, Mazedonien, Kroatien, ... Deutschland. 8 Länder in 2 Wochen.
UDIM